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Kreislaufwirtschaft 01.09.2019, 00:00 Uhr

Synthesegas aus schwer verwertbaren Abfällen

Nicht alle Abfälle lassen sich wirtschaftlich recyceln. Die Vergasungstechnik bietet einen Ausweg: Aus kohlenstoffhaltigen Abfällen entsteht dann ein Synthesegas, aus dem sich wieder Kunststoffe herstellen lassen.

Der Stahlbehälter des Coorved-Vergasers für die Wirbelschichtvergasung ist etwa acht Meter hoch. Er ist für Kunststoffabfälle, getrockneten Klärschlamm oder aschereiche Kohlen besondere geeignet. Bild: IEC

Der Stahlbehälter des Coorved-Vergasers für die Wirbelschichtvergasung ist etwa acht Meter hoch. Er ist für Kunststoffabfälle, getrockneten Klärschlamm oder aschereiche Kohlen besondere geeignet. Bild: IEC

Deutschland setzt mit strengeren Recyclingquoten für Verpackungen auf werkstoffliches Recycling. Doch dies stößt an Grenzen. Die Erfüllung höherer Quoten wird zu einem echten Problem. Auch das Einfuhrverbot in Länder wie China und Malaysia oder strengere Auflagen der Müllverbrennung verschärfen die Situation. Die dringende Frage ist: Was tun mit unserem Kunststoffmüll? Eins ist klar, ein „weiter so“ geht nicht. Verbesserungen und Optimierungen entlang der Prozesskette werden allein nicht die erhoffte Lösung bringen.

Also zurück zum Anfang. Kohlenstoffhaltiger Abfall ist ein wertvoller sekundärer Rohstoff, der ganz vorn in die Prozesskette eingespeist werden kann, um Erdöl als Rohstoff für die chemische Industrie zu ersetzen. Dies wäre die Transformation zu einer Kohlenstoffkreislaufwirtschaft. Durch die Einbindung des Kohlenstoffs in Produkte statt der Generierung von CO2-Emissionen durch Abfallverbrennung trägt die chemische Nutzung von Kunststoffabfällen gleichzeitig zur Erfüllung der Energiewendeziele bei. Eine derart stofflich-chemische Nutzung von Abfällen, die auch als chemisches Recycling bezeichnet wird, ist über drei Verfahrensrouten, nämlich die Solvolyse, die Pyrolyse und die Vergasung, möglich.

Thermochemische Verfahren

Für die große Masse der Abfälle sind die Verfahren der Pyrolyse und Vergasung für das chemische Recycling von besonderem Interesse. Bei ihnen werden die flüssigen und festen kohlenstoffhaltigen Abfälle thermisch-chemisch in kleinere Moleküle gespalten. Pyrolyse und Vergasung sind dabei sehr unterschiedlich.

Pyrolyse: Abfälle werden unter Luftabschluss, üblicherweise bei Atmosphärendruck, auf 400 bis 500 °C aufgeheizt und durchlaufen eine Schmelz- und Zersetzungsphase. Um Pyrolyseöle zu gewinnen, die als chemische Rohstoffe geeignet sind, müssen vorgetrennte, saubere Abfälle verwendet werden. Das Problem: Die Pyrolyse ist für Massenabfälle nicht geeignet, da die entstehenden Produkte mit chlororganischen Verbindungen wie polychlorierten Biphenylen (PCBs), unerwünschten Schwefel- oder Stickstoffverbindungen oder auch Dioxinen belastet sind.

Vergasung: Die Abfälle werden bei 1.000 bis 1.600 °C und Drücken bis 60 bar bis auf Grundmoleküle aufgespalten. Die Sauerstoffzufuhr beträgt nur ein Drittel der Menge, die zur Verbrennung notwendig wäre, es wird nur partiell oxidiert. Unabhängig von der Herkunft der Abfälle entstehen immer die gleichen Grundmoleküle, wie Wasserstoff (H2), Kohlenmonoxid (CO), Kohlendioxid (CO2) und Wasserdampf (H2O). Dioxine, Furane und PCBs werden vollständig zerstört und es findet im Gegensatz zur Pyrolyse oder Verbrennung grundsätzlich keine Neubildung statt. Alle Verunreinigungen, seien es chlor-, stickstoff- oder schwefelhaltige Verbindungen, werden ebenfalls in Grundmoleküle wie Chlorwasserstoff (HCl), Ammoniak (NH3) oder Schwefelwasserstoff (H2S) umgewandelt und durch Wäschen unter Druck quantitativ entfernt. Im Vergleich zu Pyrolyse ist Vergasungstechnologie damit die Ultima Ratio für das chemische Recycling nahezu aller kohlenstoffhaltiger Abfälle. Daher ist sie für die Großchemie besonders geeignet.

Im Vordergrund der Bereich der gelbe Wasserquench des Flugstrom-Vergasungsreaktors für staubförmige kohlenstoffhaltige Einsatzstoffe wie Kohle, Petrolkoks und getrockneten Klärschlamm. Bild: IEC

Im Vordergrund der Bereich der gelbe Wasserquench des Flugstrom-Vergasungsreaktors für staubförmige kohlenstoffhaltige Einsatzstoffe wie Kohle, Petrolkoks und getrockneten Klärschlamm. Bild: IEC

 

Drei Vergasertypen

Robuste Flugstromvergaser sind am verbreitetsten: Fein aufgemahlene, kohlenstoffhaltige Feststoffe werden zusammen mit Sauerstoff über einen oder mehrere Brenner in den Vergasungsraum geblasen. Dabei werden Reaktionstemperaturen von im Mittel 1.400 bis 1.600 °C und in der Spitze von mehr als 2.000 °C erreicht. Ähnlich wie in einem Rührkessel erfolgt eine vollständige Vermischung der Einsatzstoffe und der sich bildenden Produktgase, die fast vollständig aus den Grundmolekülen CO und H2 – also Synthesegas – bestehen. Die Erzeugung verglaster Schlacken, in denen die Schwermetalle eluatfest eingebunden sind, wird angestrebt, aber nur in wenigen Fällen erreicht.

In Wirbelschichtvergasern werden weniger fein aufgemahlene Feststoffe eingetragen. Die Korngröße ist typischerweise kleiner als 1 cm, kann aber mehrere cm betragen. Die Partikel werden durch die aufsteigenden Fluidisierungsgase in einer quasi-kochenden Bewegung in Schwebe gehalten. Dabei werden sie mit den Vergasungsmitteln Sauerstoff und Wasserdampf intensiv gemischt. In der Folge genügen moderate Reaktionstemperaturen von bis zu 1000 °C für eine weitgehende Umwandlung der Ausgangsstoffe in die Grundmoleküle CO, H2, aber auch CO2. Es fällt eine gesinterte Asche an, die bei entsprechend angepasster Prozessgestaltung eluatfest ist.

Das zirka 22 m hohe Vergasergerüst der FlexiSlag-Pilotanlage wurde 2011 zur Vergasung von Kohle gebaut. Die Anlage wird heute für Tests von verschiedenen festen Kohlenstoffträgern wie Biomasse, Petrolkoks, Kunststoffabfälle inklusive Ozeanmüll genutzt. Bild: IEC

Das zirka 22 m hohe Vergasergerüst der FlexiSlag-Pilotanlage wurde 2011 zur Vergasung von Kohle gebaut. Die Anlage wird heute für Tests von verschiedenen festen Kohlenstoffträgern wie Biomasse, Petrolkoks, Kunststoffabfälle inklusive Ozeanmüll genutzt. Bild: IEC

 

In Festbettvergasern werden überwiegend grobkörnige Einsatzstoffe mit einem Durchmesser bis zu 10 cm von oben aufgegeben, wodurch sich eine Schüttung, das Festbett, ausbildet. Das Vergasungsmittel ist wie bei der Wirbelschichtvergasung ein Dampf-Sauerstoff- oder ein Dampf-Luft-Gemisch. Es wird von unten in das Festbett eingebracht und „verzehrt“ dieses in der Oxidationszone bei Temperaturen bis zu 1500 °C. Die gebildete Asche wird entweder am Boden des Festbettvergasers in gesinterter, fester Form (Festbettvergaser mit trockenem Aschaustrag) oder als flüssige, verglaste Schlacke (Schlackebadvergaser) abgezogen.

Am Freiberger Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen werden verschiedene Rohstoffe vergast: heimische Braunkohle,

Am Freiberger Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen werden verschiedene Rohstoffe vergast: heimische Braunkohle, …

Foto: IEC

Vergasung von Abfällen

Weltweit, insbesondere in China, wird die Vergasungstechnologie im großen Maßstab für die Kohlechemie eingesetzt. Die marktführenden Kohlevergasungstechnologien auf Basis der Flugstromvergasung sind aber für Abfälle nicht geeignet. Das Schlüsselproblem ist, dass die Abfälle nicht zu riesel- und pneumatisch transportfähigem Staub aufgemahlen werden können, was erforderlich ist, um sie über die Brenner in den druckaufgeladenen Vergaser bei einem Vergasungsdruck von 40 bis 60 bar einzublasen.

Demonstrationsanlagen für die Abfallvergasung werden heute in Kanada (Edmonton) von Enerkem sowie in Japan (Kawasaki) von Showa Denko betrieben. Beide nutzen die Wirbelschichttechnologie, wobei die zerkleinerten Abfälle (Größe zirka drei bis acht cm) über Schneckenförderer in den Reaktionsraum eingebracht werden. Wegen des mechanisch schwierig zu gestaltenden, kontinuierlichen Eintrags der heterogenen und zum Teil kaum rieselfähigen Feststoffe muss der Systemdruck niedrig gehalten werden (leichter Überdruck bis maximal 10 bar). Abgesehen von der hohen Störanfälligkeit der Transportsysteme führt der hohe Energiebedarf für die Nachverdichtung auf Synthesedruck von etwa 40 bis 60 bar zu einem erheblichen Effizienzverlust.

Ersatzbrennstoffe aus getrockneten, aufbereitetem Restmüll, Sortierresten, Mischkunststoffen, Schredderfraktionen aus dem Automobilrecycling, …Bild: IEC

Ersatzbrennstoffe aus getrockneten, aufbereitetem Restmüll, Sortierresten, Mischkunststoffen, Schredderfraktionen aus dem Automobilrecycling, …Bild: IEC

 

In Deutschland wird an der nächsten Generation von Vergasungstechnologien gearbeitet – so auch am Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (IEC) der TU Bergakademie Freiberg. Im Technikums- bis Pilotmaßstab werden gleich drei Entwicklungen vorangebracht.

Die zentrale Entwicklung betrifft die FlexiSlag-Technologie (Flexible Slagging Gasification Pilot Plant). Mit dieser Festbetttechnologie mit flüssigem Schlackabzug wurden bereits im großen Stil und weltweit erstmals bei einem für die Synthesechemie relevanten Vergasungsdruck von 40 bar verschiedenste kohlenstoffhaltige Einsatzstoffe etwa Biomasse, Kohle, Petrolkoks, ein Abfallprodukt der Raffiniere, sowie aschereiche Kunststoffabfälle, erfolgreich in Synthesegas umgewandelt.

Meeresmüll wie Plastikbehälter, Fischernetze, Seile, Holz und Gummistiefel. Dieser Abfall muss für die Vergasung geschreddert und gepresst werden, …Bild: IEC

Meeresmüll wie Plastikbehälter, Fischernetze, Seile, Holz und Gummistiefel. Dieser Abfall muss für die Vergasung geschreddert und gepresst werden, …Bild: IEC

 

Die zweite Entwicklung widmet sich Fortschritten der HTW-Wirbelschichtvergasung (Hochtemperatur-Vergasung nach Winkler), „CO2-Reduktion durch innovatives Vergaserdesign“ (Coorved) genannt. In dem im Technikumsmaßstab realisierten Verfahren werden neben Kohle auch Klärschlamm und Bioabälle eingesetzt. Und schließlich drittens die GSP-Flugstrom-Pilotanlage am Standort Freiberg, in der neben Kohle auch Petrolkoks und getrocknete Klärschlämme bei technisch nahen Bedingungen (26 bar Vergasungsdruck, Temperaturen höher als 1.400 °C) chemisch in Synthesegas und Schlacke umgewandelt werden.

Technologiebrücke Zukunft

Um die Abfallkrise und insbesondere das Kunststoffproblem zu meistern, ist ein ganzheitlicher Ansatz mit aufeinander abgestimmten Stufen der Abfallvermeidung gefragt. Diese beginnen bei der Vermeidung, gefolgt vom recyclinggerechten Design und setzen sich fort über die Stufen des mechanischen und chemischen Recyclings. Plastikabfälle sollen schließlich nur noch im Ausnahmefall in der Müllverbrennung, praktisch nicht mehr in Deponien, und grundsätzlich überhaupt nicht mehr in die Umwelt gelangen. Die Vergasung ist ein „Allesfresser“, mit deren Hilfe es möglich ist, bisher verbrannte Kunststoffabfälle nicht mehr als thermisch zu entsorgende Abfälle zu begreifen, sondern als Rohstoff für die chemische Industrie.

oder leichte Shredder-Rückstände des Automobilrecyclings mit verschiedenen Kunststoffen, Mischkunststoffen, Textilien und Metallresten. Bild: IEC

oder leichte Shredder-Rückstände des Automobilrecyclings mit verschiedenen Kunststoffen, Mischkunststoffen, Textilien und Metallresten. Bild: IEC

 

Die Vergasungtechnologie ist die einzige, mit der die Brücke von den linearen zur Kohlenstoffkreislaufwirtschaft geschlagen werden kann. Vergasungstechnologien ermöglichen nicht nur das chemische Recycling, sondern leisten durch die vermiedenen CO2-Emissionen der Müllverbrennung auch einen Beitrag zu Erreichung der CO2-Minderungsziele. Des Weiteren kann die Importabhängigkeit der chemischen Industrie von importiertem Erdöl verringert werden. Entsprechend – dies wird häufig vergessen – entfallen die mit dem Import verbundenen CO2-Emissionen entlang der internationale Lieferketten. Und nicht zuletzt kann mit der Option, Braunkohle als Hilfsstoff für die Prozessstabilisierung zu nutzen, die Co-Vergasung von Abfall und Kohle mittelfristig in Deutschland einen Beitrag zum Strukturwandel in den Braunkohlerevieren leisten, solange, bis sich diese Regionen auf neue Zukunftsfelder orientieren können.

Fehlende Unterstützung

Hier stellt sich die Frage nach der Markeinführung in Deutschland. Diese gestaltet sich schwierig. An erster Stelle steht der Mangel an politischem Willen, das heißt, den fehlenden Rahmenbedingung für die chemische Nutzung von Abfällen: Das wird in der kürzlich in Kraft gesetzten Verpackungsverordnung deutlich. Sie erkennt ausschließlich das werkstoffliche Recycling als Recyclingmethode an. Auch die Nichtberücksichtigung der CO2-Emissionen entlang der Erdöl-Lieferketten für die Petrochemie oder die Befreiung der Abfallverbrennung vom CO2-Emissionshandel sowie deren Vorrangstellung der Stromeinspeisung tun ein Übriges, dass Chemie-, Energie- und Abfallwirtschaft beim „Business-as-Usual“ verharren.

In den Niederlanden hingegen wird bereits die erste Waste-to-Chemicals Anlage in Europa geplant. Zusammen mit einem Konsortium von Air Liquide, Nouryon, Shell und den Rotterdamer Hafen plant das kanadische Unternahmen Enerkem eine Vergasungsanlage im Rotterdamer Hafen, in der jährlich aus 360.000 t kunststoffhaltiger Abfälle bis zu 270.000 m3 „grünes“ Methanol erzeugt werden sollen. Das entspricht der jährlichen Abfallmenge von 700.000 Haushalten. Der CO2-Einspareffekt wird mit bis zu 300.000 t jährlich beziffert.

Noch einmal China: Mit dem dort erreichten Technologievorsprung ist es naheliegend, dass im Zusammenhang mit der „Zero-Waste Cities“ Strategie das Interesse für die Abfallvergasung in China besonders groß ist. Die Chinesische Akademie der Wissenschaften mit dem dortigen Institut für Kohlechemie (Chinese Academie of Science, Institute of Coal Chemistry CAS ICC) und das Freiberger IEC unterstützen die Provinzregierung von Shanxi mit der Entwicklung von Konzepten und mit der Bewertung von Technologien für die Implementierung des „Null Abfall“-Konzepts in einer Modellstadt als urbanes Leuchtturm-Projekt für den Übergang zur Kohlenstoffkreislaufwirtschaft.

Wie in anderen Zukunftstechnologie-Feldern auch, stellt sich hier die Frage, warum Deutschland, das in chemischen Umwandlungstechnologien einmal international führend war, wertvolle Zeit verstreichen lässt und die Initiative für die Jahrhundertaufgabe der Umsetzung der Kohlenstoffkreislaufwirtschaft anderen überlässt, ganz abgesehen vom drohenden Verlust der Technologieführerschaft in einem zentralen, internationalen Zukunftssektor.

Von Roh Pin Lee & Bernd Meyer

Roh Pin Lee, Bernd Meyer, IEC, TU Bergakademie Freiberg, Institut für Energieverfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen, Roh-Pin.Lee@iec.tu-freiberg.de